Mittwoch, 29. Oktober 2008

Teilzeit V - It would be so nice

"And no one knows what I did today
There can be no other way
But I would just like to say
It would be so nice" Pink Floyd


Ich durfte ein Crewmitglied der geheimnisvollen Männer in Orange werden.
Nur nicht in Orange. Ich trug zum ersten Mal meine privaten Klamotten, also bis auf die Schuhe. Die Arbeit begann um 6 Uhr und endete in der Regel um 15 Uhr. Super Arbeitszeiten, man hatte endlich noch was vom Tag. Ich war in der Sperrmüllkolonne und fuhr bei einem Typen mit, der seinen Sperrmülllaster von oben bis unten mit nackten Frauen tapeziert hatte. Die Frauen auf den Postern sahen so aus, als ob er die passende Coupé oder Praline bei der Arbeit gefunden hätte. Auf dem Armaturenbrett war eine oben ohne Hawaiianerin, deren Brüste bei jedem Huckel wackelten, als wollten sie zu jedem Schlagloch „ja“ sagen. Den Fahrer nennen wir mal... Kowalski. Sein echter Name war unaussprechlich. Es ist allein deswegen unmöglich für mich ihn fehlerfrei aufzuschreiben und dazu noch der Datenschutz.

Nachdem ich mich in den ersten Tagen akklimatisiert hatte und Fahrer Kowalski und ich uns scheinbar einig waren, dass während der Arbeit nicht geredet wurde, schaute ich jeden Morgen zuerst auf die Route und beschloss die paar Dörfer bis zum ersten Einsatzort zu verschlafen. Das ging in Ordnung, weil mir erstens die teilweise schwere Arbeit nichts ausmachte und ich zweitens immer gut gelaunt aufwachte. Da es langsam auf Weihnachten zuging, war das Trinkgeld recht üppig. Hin und wieder gab es auch Alkohol, den ich leider nicht immer zwischen den kaputten Sofaecken, Bettlatten und Kommodenschubladen gefunden hatte und ihn ausversehen mit in die Presse beförderte. Seitdem wurde ich bei jedem Klirren gefragt, was da gerade eben über meine Schulter, direkt in die Müllpresse geflogen kam. No look Entsorgung, quasi! Und ich sagte stets: Nachttischlampe. Neben dem Trinkgeld wurde die Kasse mit Kupfer aufgebessert. Kupfer ist das Gold der Müllmänner, es sei denn, jemand findet Gold. Kam aber meines Wissens nach nicht vor. Ich habe mir sagen lassen, dass ohne diesen Nebenverdienst das Gehalt nicht ausreichen würde. Die Gehaltseinsparungen waren natürlich auch meine Daseinberechtigung.

Im Gegensatz zu dem Trinkgeld, wollte er meinen Humor nicht mit mir teilen. Eines Tages mussten wir eine komplette Küchenzeile zerkleinern. Es war die hässlichste Küche, die ich je gesehen habe: Schachbrettmuster.
Ich: „Wer wohnt hier? Gottlieb Wendehals?“ – Nichts.
Als wir einen Berg kaputter Fernseher abholen mussten, antwortete ich auf seine Vermutung, dass hier wohl jemand leidenschaftlich Fernseher repariere, mit:
„Oder ein Schalke Fan wohnt im zweiten Stock!“ – wieder Nichts.
In einem eher herunter gewirtschafteten Stadtviertel wurde ich nach meiner letzten Tetanusspritze gefragt und ich antwortete mit:
„Beim letzen Haus hatte ich eine in der Hand!“ - Noch nicht einmal ein Schmunzler. Mensch Kowalski, mach es dir doch nicht schwerer als es ohnehin schon ist, dachte ich.

Das Ghetto war am besten. Die Leute dort warfen zeitgleich mit unserem Antreffen die Möbel aus dem Fenster. Remmi Demmi. Kinder spielten in den zwei Meter hohen und vierzig Meter langen Sperrmüllhaufen. Man musste aufpassen, dass man kein Nachtschränkchen auf den Kopf bekam oder eines der Kinder mit einlud. Die dachten vermutlich auch: Hauptsache raus hier, egal zu welchem Preis. Was dem Fahrer das Kupfer war, war für mich Vinyl. Ich habe tatsächlich tadellose Pink Floyd und Udo Jürgens Platten gefunden.
Kowalski: „Hast Du Müll mit in den Laster genommen?“
Ich: „Nee, nur ein paar Platten von Pink Floyd!“
Kowalski: „Sag ich doch, Müll.“ - Lustig Kowalski, saulustig.

Eine weitere Affinität hatte Kowalski VHS Kassetten gegenüber. Ich fragte ihn, aus einem wiederholten Anflug von Humor, ob er eine Kopie von Dirty Dancing noch gebrauchen könnte. Kowalskis aufschäumendes Interesse verwunderte mich etwas.
Kowalski: „Dirty was?“
Ich: „Dancing!“
Ich wollte gerade anfangen „I´ve had the time of my life“ zu singen, als er mich unterwies, jeden Porno den ich finden würde zum Kupfer zu legen. Es war nie ein Porno dabei, obwohl man nie wissen kann.
Einen von fünfzehn Mülltagen wurde ich der Altpapierkolonne zugeteilt, was einen neuen Fahrer bedeutete. Dieser Fahrer redete, im Gegensatz zu Kowalski, ununterbrochen. Was für mich bedeutete: No Sleep till Feierabend. Dieser Mann hatte eine Angewohnheit, die ich bisher nur von Frauen kannte. Er band unbekannte Personen in seine Reden ein, die er weder mit einer kleinen Erklärung noch mit Nachnamen versah. Bei Prominenz ist das ja auch kein Problem... So kam es, dass er im vorbeifahren erwähnte: "und hier wohnte Jürgen Fliege!" Bevor er weiter schwadronieren konnte, hakte ich nach.
Ich: „ DER Jürgen Fliege hat da mal gewohnt?“
Fahrer: "Ja, ich habe mit dem frührer Volleyball gespielt!“
Ich: „Hätte nie gedacht, dass ein Pastor Volleyball spielt!“
Fahrer: „Ja, der ging immer richtig zur Sache.“
So ging das eine ganze Weile. Ich fragte und der Fahrer antwortete, zu meinem wachsenden Erstaunen, wie selbstverständlich. Erst eine halbe Stunde später, als ich auf Flieges Buchtitel „Sehnsucht nach Heimat: Entdecke die Wurzeln, die dich tragen“ zu sprechen kam, wurde er stutzig.
Fahrer: „Du meinst wohl den Fernsehprediger, Jürgen FLIEGE.“
Na klar meinte ich den. Später erfuhr ich, dass es um einen anderen, zivilen Jürgen ging, der fast genau so hieß… das kommt davon, wenn man nicht richtig zuhört oder man nicht vernünftig erklärt wer gemeint ist. Nach drei Wochen kam wieder ein Anruf aus der Teilzeitfirma. Ich hatte zwei unbezahlte Tage frei und am folgenden Mittwoch sollte ich in die Strothmann Brennerei. Weizenkorn ist gemeint, für alle mit einem besseren Geschmack.

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